Vor 75 Jahren: Zeitungen der Provinz Sachsen
und der Weg ins Dritte Reich (Teil 9)
Synode stimmt für Arierparagraphen
Von Manfred Zander
Am ersten
September-Wochenende 1933 dürfen sich die Magdeburger freuen: "Der
Hellas wieder Wasserballmeister" titelt Sportredakteur Hans Hoecker am
4. September im Sportteil der Magdeburgischen Zeitung. An anderer Stelle
konstatiert das Blatt, dass "die nationalsozialistische Bewegung der
deutsche Staat geworden" sei – verbunden mit Verhaftungen und
Berufsverboten.
Die Wasserball-Sieben – Ete und Acki Rademacher, Heinz, Amann, Schulze,
Schumburg und Gebert – "hat den alten Schwimmerruhm ihres weltberühmten
Klubs und den der Stadt Magdeburg erneut aufgefrischt", ist Hoecker
begeistert.
Die Schlagzeilen
liefert der am 1. September in Nürnberg beginnende Reichsparteitag der NSDAP.
In Halle zeigt sich die örtliche Parteiführung besonders einfallsreich. Die
Hallischen Nachrichten: "Um allen Partei- und Volksgenossen Gelegenheit
zu geben, den Parteitag in Nürnberg mitzuerleben, werden alle Besitzer einer
Rundfunkanlage aufgefordert, während der Darbietungen in Nürnberg den
Rundfunk ans offene Fenster zu stellen."
"Bolschewistische Geisteshaltung"
Während Politikchef
Baron als Berichterstatter in Nürnberg weilt, kommentiert Vertreter Dr.
Weidemann am 3. September in der Magdeburgischen Zeitung: "Die
nationalsozialistische Bewegung ist das Deutsche Reich, der deutsche Staat
geworden. ... Alles andere ist Folgerung aus diesem Tatbestand."
Otto Siegmund passt nicht in den neuen Staat. Der frühere Amtsvorsteher von
Ochtmersleben wird wenige Tage vor dem Nürnberger Parteitag zu fünf Monaten
und zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Er hatte sich geweigert, nach den
Wahlen am 12. März eine Hakenkreuzfahne an seinem Amtsbüro zu hissen –
"bis die Ochtmerslebener Nationalsozialisten es an seiner Stelle
taten", schreibt der Korrespondent der Magdeburgischen Zeitung.
Der Arbeiter und frühere Kommunist Robert
Katzorke aus Dahlenwarsleben muss sogar für neun Monate und zwei Wochen ins
Gefängnis. Die Magdeburgische Zeitung berichtet am 28. September, warum.
"Er ging ... zur Hitlereiche (sie war zum Gedenken an den Tag der
Nationalen Arbeit anstelle eines Ebert-Denkmals gepflanzt worden/ d. A.) und
riß von ihr mehrere Zacken und Äste ab."
Andere werden ausgegrenzt. "Der frühere Bürgermeister von Dessau, Hesse,
hatte um seine Zulassung als Rechtsanwalt in Bernburg nachgesucht",
heißt es in den Hallischen Nachrichten. Das anhaltische Staatsministerium habe
diesen Antrag abgelehnt. Gegen Hesse ist in Dessau ein Untersuchungsausschuss
eingesetzt worden. Der habe nun, so die Zeitung am 16. September, einen
weiteren Bericht veröffentlicht, "in dem zusammenfassend festgestellt
wird, daß die auf Veranlassung des Oberbürgermeisters in Gemeinschaft mit dem
Bauhausarchitekten Gropius betriebene Bautätigkeit einen starken Fehlschlag
bedeutet. Die sogenannte Gropiussiedlung ... sei nicht geeignet, den Ruhm
Dessaus zu vermehren. Die Häuser trügen durchaus das Gepräge bolschewistischer
Geistesrichtung."
Die hallesche Saale-Zeitung entdeckt am 21. September bessere Seiten am
Dessauer Baugeschehen: "Der Vorstand des Bundes für Haus- und
Grundbesitz gibt ein Vorbild zur Förderung des Luftschutzes. Er richtet einen
Antrag an den Magistrat, wonach die Erlaubnis für Neubauten nur erteilt
werden darf, wenn im Keller sicherer Schutz gegen Brand- und Giftgasbomben
geschaffen wird."
Nazis ernten Früchte
der Weimarer Republik
Die Wirtschaft im Reich und in der Provinz befindet sich im September 1933 –
glaubt man den Zeitungen aus Halle und Magdeburg – auf einem guten Weg.
"Wieder sind 130 000 Menschen in den Arbeitsprozeß eingegliedert worden
und die Kraft der vom Reichskanzler mit aller Energie betriebenen
Wirtschaftsoffensive ist erneut unter Beweis gestellt worden", bemerkt
Dr. Weidenbach am 23. August. Den Zusammenhang, den er zwischen
Hitler-Regierung, wirtschaftlichem Aufschwung und Abbau der Arbeitslosigkeit
herstellt, dürften ihm viele Leser geglaubt haben. "Wenn heute gegenüber
dem Januar 1933 wieder 2 Millionen Arbeit und Brot gefunden haben, dann
erscheint das fast wie ein Wunder", schreibt der Politikredakteur der
ältesten deutschen Tageszeitung.
Zahlreiche Projekte nähren die Hoffnungen im
September: Beginn des Autobahnbaus, Beschleunigung der Arbeiten am
Mittellandkanal, Start für die Elektrifizierung der Bahnstrecke
Halle-Magdeburg. Wer erinnert sich schon noch, dass die Anstöße bereits in
der Weimarer Republik gegeben wurden.
Das zu verschweigen,
ist indes nicht immer einfach, etwa beim neuen Haus der Deutschen Arbeit am
Magdeburger Ratswaageplatz. Am 2. September schreibt ein Reporter in der
Magdeburgischen Zeitung über die am 15. Oktober geplante Eröffnung des
pikanterweise im Bauhausstil errichteten Hauses. Geschickt umschifft er die
Klippe, dass es sich dabei um ein Kind der gerade enteigneten Gewerkschaften
handelt: "Der Bau wurde, wie schon erwähnt, am 1. August v. J. in
Angriff genommen. Bauherr war die Gewerkschaftshaus G.m.b.H. Am 1. Mai d. J.
übernahm im Auftrage der Deutschen Arbeitsfront der Kommissar der
Gewerkschaftshaus G.m.b.H. die Fortführung der Bauarbeiten."
Nicht nur Gebäude werden zeitgemäß angepasst. Am 6. September zitieren die
Hallischen Nachrichten das am Vortag von der Generalsynode für das Gebiet der
Altpreußischen Evangelischen Landeskirche angenommene Beamtengesetz:
"Als Geistlicher oder Beamter der allgemeinen kirchlichen Verwaltung
darf nur berufen werden, wer die für seine Laufbahn erforderliche Vorbildung
besitzt und rückhaltlos für den nationalen Staat und die deutsche
evangelische Kirche eintritt. Wer nicht arischer Abstammung oder mit einer
Person nichtarischer Abstammung verheiratet ist, darf nicht als Geistlicher
und Beamter der allgemeinen kirchlichen Verwaltung berufen werden."
Richter drohen den
"Volksgenossen"
Schon einen Schritt weiter sind die Angehörigen des Bundes der
nationalsozialistischen Richter des Gaus Naumburg. Am 2. September kommen sie
in den Hallischen Nachrichten zu Wort: "Es ist unverständlich, daß
deutsche Volksgenossen heute noch nicht eingesehen haben, daß entsprechend
der in der Nationalsozialstischen Deutschen Arbeiterpartei herrschenden
Tendenz jüdische Anwälte von deutschen Volksgenossen keinerlei Aufträge zur
Vertretung bekommen. … Nichtjüdische Parteien, die es für richtig befinden,
sich heute noch durch jüdische Prozeßvertreter vertreten zu lassen, können
nicht damit rechnen, daß das heutige nationale Deutschland ihr Verhalten
durch Stillschweigen duldet."
Mit Beginn des
Reichstagsbrandprozesses am 21. September steht die deutsche Justiz unter
internationaler Beobachtung. Das sieht auch Dr. Weidenbach, der am 23.
September in der Magdeburgischen Zeitung mahnt: "Bliebe auch nur ein
Haar in der Suppe, so würde das zu erneuter Hetzpropaganda gegen das neue Deutschland
ausgeschlachtet werden." Der Leitartikler ist jedoch zuversichtlich,
dass dies nicht geschehen wird, denn "Gesetz und Recht, und sonst nichts
werden hier entscheiden."
(Quelle: VSM vom 18.12.2008)
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